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„Achtsamkeit ist Gewahrsein, das kultiviert wird, indem wir in andauernder und bestimmter Weise aufmerksam sind: mit Absicht, im gegenwärtigen Moment und ohne Beurteilung“ Jon Kabat-Zinn

 

Ein Wochenende intensiver Achtsamkeit

 

Zusammen mit meinem Partner besuchte ich letzte Woche einen achtsamkeitsbasierten Geburtsvorbereitungskurs bei Anne Hackenberger vom Zentrum für Achtsamkeit und Familie. Der Kursinhalt richtet sich nach dem, von der Hebamme und Achtsamkeitslehrerin Nancy Bardacke entwickelten, MBCP – Mindfulness based Childbirth and Parenting (Achtsamkeitsbasierte Geburt und Elternsein).

Das Programm hat seine Wurzeln im bekannteren MBSR (achtsamkeitsbasierte Stressreduktion) von Jon Kabat-Zinn und wurde von Nancy Bardacke konkret auf die Bedürfnisse während der Schwangerschaft, Geburt und Elternschaft angepasst.
Normalerweise geht er über 9 Wochen und beinhaltet pro Woche ein Treffen von je drei Stunden. Da es in Deutschland bisher erst drei MBCP Lehrer gibt, komprimierte Anne seinen Inhalt zu unserem Glück auf ein verlängertes Wochenende, um ihn auch Interessierten von weiter weg zugänglich zu machen.

Wir haben das Wochenende gleich dazu genutzt, mal wieder richtig raus zu kommen, und uns eine schöne Ferienwohnung gemietet, was definitiv die beste Entscheidung war. So konnten wir nur für uns und das Baby da sein und die Tage ganz achtsam (er)leben.

 

Was ist Achtsamkeit
und was bringt mir das?

 

Zunächst einmal möchte ich hier die acht Grundhaltungen der Achtsamkeitspraxis aufführen, die für sich gesehen schon sehr viel erklären und ein Gefühl dafür geben, was ein Leben in Achtsamkeit bedeutet:

– Anfängergeist
– Nicht werten
– Geduld
– Nichtstreben
– Vertrauen
– Anerkennen dessen, was ist
– Seinlassen
– Freundlichkeit

Achtsamkeit meint Präsenz, also ganz und gar im gegenwärtigen Moment zu sein und aus ihm zu handeln. Es ist das Gegenteil vom Autopilot-Modus, in dem wir nicht bewusst mitbekommen, wie sich unser Körper gerade anfühlt, in dem wir gestresst oder in Hektik sind, uns sorgen, Dinge verlegen und uns selbst und andere kaum wahrnehmen.

Sind wir achtsam, nehmen wir Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen in diesem Moment wahr und können sie ohne Wertung annehmen. Wir spüren schneller, was wir gerade brauchen und was uns nicht gut tut.
Dadurch fällt automatisch das Leiden weg, was zwangsläufig aus Gedanken an die Zukunft, Ängsten oder Vorstellungen entsteht.

 
Ein Leben in Achtsamkeit führt zu:
– mehr Freude, Freundlichkeit, Gewahrsein, Ruhe und Weisheit.
– einem guten Umgang mit Stresssituationen, Ungewissheit und Schmerzen

Diese Haltungen werden durch eine regelmäßige Meditationspraxis kultiviert. Vorwiegend besteht die Meditation hier aus der Konzentration auf den eigenen Atem (ohne ihn dabei zu verändern), da sich dieser genau wie der Körper immer im gegenwärtigen Moment befindet. Gedanken die auftauchen dürfen sein und werden nicht wertend aus einer beobachtenden Haltung wahrgenommen.
Weitere Übungen, die der achtsamkeitsbasierte Geburtsvorbereitungskurs beinhaltete waren Body Scans, Yogaübungen, Schmerzübungen, ein Tag im Schweigen und verschiedene Arten der Meditation (Atemmeditation, Gehmeditation, Essmeditation, Sprechmeditation).

 

Was sich für mich verändert hat

 

Der Kurs war eine sehr inspirierende und schöne Erfahrung für mich. Er hatte viele Parallelen zu dem, was ich aus meiner Yogapraxis kenne, und hat sie durch leicht andere Ansätze total bereichert und ergänzt. Es war unbeschreiblich angenehm zusammen mit den anderen Teilnehmern zur Ruhe zu kommen und eine tiefere Ebene zu berühren.

Die Achtsamkeitsübungen haben mich nicht nur für meine aktuelle Situation und die bevorstehende Geburt gestärkt, Ängste genommen und wunderbar vorbereitet, sondern auch ganz generell etwas in meinem Leben verändert, von dem ich noch lange zehren werde.
Ich sehne mich z.B. noch mehr als vorher nach Zeiten der Ruhe im gegenwärtigen Moment, höre schneller auf Impulse, wenn mir etwas nicht gut tut. Ich meditiere sogar lieber, weil mir die Anleitung von Anne nochmal neue Impulse gegeben hat. Unser Miteinander als Paar wurde wieder tiefer und intensiver und tatsächlich auch mein Selbstbewusstsein gestärkt.

Zudem konnte ich die Praxis gleich auf meine körperlichen Schmerzen, bedingt durch eine Blasenentzündung, anwenden. Ich durfte erfahren, dass ein Großteil meines Schmerzes gedankenbedingt war (Erinnerung an die Heftigkeit vorhergehender Blasenentzündungen, Angst um mein Baby, nicht-haben-wollen des unangenehmen Gefühls, leidende Gedanken wie „unangenehm“, „schmerzhaft“, „das tut weh“, „das soll nicht sein“) und dass alles sehr viel angenehmer wurde, als ich mich auf den Schmerz, so wie er in dem Moment wirklich war, eingelassen habe. Meine restlichen Beschwerden dauerten noch fast eine ganze Woche an, waren von mir jedoch nicht mehr als unangenehm wahrzunehmen, sondern durften sein. Auch die Hilflosigkeit, die ich zu Anfang empfunden hatte, war verschwunden, da ich meinen Körper intensiver wahrnehmen konnte und somit wusste, was er braucht um Linderung zu schaffen.
Ich glaube das war eine sehr wichtige Erfahrung für mich in Vorbereitung auf den Geburtsschmerz.

 

Mehr Informationen
über MBSR: http://www.mbsr-verband.de/
über MBCP: http://www.mindfulbirthing.org/  (Seite auf englisch)
über das Zentrum für Achtsamkeit und Familie: http://achtsamkeit-und-familie.de/